Aus "Fundevogel"
Nr. 86
Das Schnippelbuch
Ein schwarz-weißes Bilderarchiv
Das Schnippelbuch Nr.2 ist da. So dick wie ein Münchner
Telefonbuch. Von dort kommt es auch, aus der Tradition der "Pädagogischen
Aktion", diesmal allein herausgegeben von Gerd Grüneisl von der Gruppe "Kultur
& Spielraum eV.". Wer das Schnippelbuch Nr.1 kennt, hat es vermutlich längst
zerschnitten und produktiv verbraucht; der weiß, warum jetzt das nächste
bestellt wird: zum Zerschneiden! Was natürlich viel zu schade ist und man
mit Büchern sowieso nicht macht, wie meine Tochter meint. Deshalb sieht sie
sich die Bilderseiten an, sucht ihre Lieblingstiere und Lieblingsfiguren heraus,
paust sie ab, malt sie aus und schneidet dann diese für eine Collage zurecht.
Am liebsten zusammen mit ihrer besten Freundin. Oder sie blättern und blättern.
Eine schwarz-weiße Bilderflut tut sich auf, archivgenau geordnet. Im Inhaltsverzeichnis
kann ich unter Schlagwörtern zunächst einmal feststellen, was alles
an Sachgebieten zu finden ist: Sanitärartikel - Müllrecycling ehedem
- Menschenpaare - Computer und Kopierer - Instrumente und Musikanten - Kleider,
Hemden, Hüte usw. usw. Unsere gegenwärtige und historische Welt findet
sich in einer unglaublichen Vielfalt wieder; ein alphabetischer Index von Stichwörtern
hilft, von Adler bis Zylinder die Abbildungen aufzufinden. Das Bilder-Material
ist vom Herausgeber aus unserer publizierten Bilderweit zusammengeschnibbelt worden,
um sich als neue Bildeinheit und zu eigenem Schnibbelvorhaben oder anderem dem
Betrachter zu präsentieren. Benutzer wäre richtiger. Es ist ein Gebrauchsbuch
für Groß und Klein, für Schule und Kindergarten, für Familie,
Jugend und Altenheim, für Tages- und Abendvergnügen.
Nun ließe sich dieser kleinen Besprechung ein pädagogisches Kompendium
zum löblichen Gebrauche in einer - zeitgemäß ausgedrückt
- kulturpädagogischen Situation beigeben (zum Beispiel über Bildbetrachtung
und Schnippeln als Wahrnehmungsschulung im visuell-haptisch-motorischen Zusammenhang;
über die Bedeutung von Sehenlernen in der Symbolsprache der Bilder, zur kognitiven
Entwicklung der Begriffsbildungsfähigkeit oder über Kreativitätsförderung
(durch Bildmontage), aber besser ist, dies selbst im praktischen Umgang mit dem
Buch herauszufinden. Hinweise dazu, zum Beispiel zum Aufbau einer Collage, zur
Frage der Ordnungsprinzipien oder der Proportionen sind dem Buch vorangestellt.
Und wer etwas über graphische Tipps und Tricks wissen will, schlägt
die letzten Seiten auf, wo viele Übungsbeispiele Anregungen geben, wie man
mit dem Kopierer zum Beispiel gestalten kann, was punktieren mit dem Rapidographen
bedeutet und was mit der Technik des Schummerns alles möglich ist. Wem jedoch
das Schnippeln kulturpädagogisch nicht seriös genug erscheint, der sei
an die große kulturhistorische Tradition erinnert, in der man steht, wenn
man mit der Schere durch die Bilderwelt zieht:
"Bereits aus dem achtzehnten Jahrhundert wird berichtet, dass man am Pariser
Hofe und in den aristokratischen Salons Damen und Herren antreffen konnte, die,
ausgestattet mit kleinen und kostbaren Scheren bei Gelegenheit und wohl zum Zeitvertreib
Drucke und illustrierte Bücher zerlegten, sie in Einzelbilder und Teile zerschnitten
und die herausgelösten Bildteile entweder in Alben sammelten oder damit Gegenstände
beklebten." Mehr darüber im Schnippelbuch. (S. XIff.)
Unter dem Stichwort "Worte, Sätze, Überschriften" suche ich mir
kein Bild, sondern meinen Schlusssatz heraus: "Was wäre ein Sommer ohne
Wurst?" Die Typographie finden Sie im Schnippelbuch Nr 2.
Jörg Richard |